schrift am bildschirm noch nicht ausgereift
was wollen wir
schriften am bildschirm
tag der typografie im bild
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tag der typografie 1999
im spiegel der presse
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«Druck und Papier», Zeitung der Industriegewerkschaft: Medien
Elfter schweizerischer «Tag der Typografie» in Zürich befasste sich mit Schrift und Bild für
visuelle Medien
Schrift am Bildschirm noch nicht ausgereift
Typografische Gestaltung beschränkt sich schon längst nicht mehr auf das Gedruckte.
Multimedia und das Internet sind hinzugekommen. Dort herrschen andere Gesetze. Die
typografische Gestaltung muss sich darauf einstellen. Wege dafür zeigte der «Tag der
Typografie»am 20. November 1999 in Zürich, der elfte, der in jährlicher Folge von der
schweizerischen Mediengewerkschaft comedia ausgerichtet wird, und an dem 600 vor
allem junge Kolleginnen und Kollegen teilnahmen.
Den Auftakt machte Anna Rüegg, Dozentin für Kunst und Kulturgeschichte sowie Bildgestaltung
in St.Gallen, mit dem Vortrag «Das Reich der Bilder und die Herrschaft des Wortes». Am Anfang
war das Bild in Form von Höhlenzeichnungen. Als sich kurz vor unserer Zeitrechnung aus der
bildlichen Mitteilung die Schrift entwickelte, überholte diese nach und nach das Bild.
In der jüdisch-christlichen Religion kam es zum Bilderverbot, das unterschwellig bis heute noch
nachwirkt. Der Protestantismus stützt sich nur auf die Schrift. In den Schulen von heute wird die
Welt der Bilder negiert, Wissen wird schriftsprachlich dargeboten. Doch, so die Frage der
Referentin am Schluss: Wie sollen junge Erwachsene sich der Bilderflut erwehren, wenn in der
Schule nicht darauf eingegangen wird? Fazit: Die Frage nach dem Bild muss neu gestellt
werden.
Bei Bruno Maag ging es praktisch zu. Der in London arbeitende Gestalter untersuchte die
Kriterien für die Schrift am Bildschirm. Bitmap-Schriften seien am besten zu lesen. Kommen
noch Hintings, bestimmte Kodierungen, hinzu, verbessere sich das Schriftbild. Doch
zufriedenstellend sei die Situation noch nicht. Es müsste ein neuer Weg gesucht werden, um
Schrift am Bildschirm befriedigend darzustellen.
Michael Renner, ein in Basel lebender Gestalter, machte sich Gedanken, wie das Werkzeug
Computer die Texterstellung und -darbietung verändern könnte. Mit Tastatur und Mausklick
wären entsprechend den heutigen Rechnerleistungen weit feinere Formen der Navigation
möglich. Doch wirtschaftliche Überlegungen verhinderten das. Daher müssten experimentelle
Versuche in Ausbildungsstätten unternommen werden. Abschliessend zeigte er die
Internetauftritte der Schule für Gestaltung Basel und des Kantons Basel Stadt.
Probleme mit Bildern
Rolf Müller, der in München lebende Inhaber eines Büros für visuelle
Kommunikation, nannte
seinen Vortrag«Memory ein Spiel mit Bildern?» Ausgehend von dem weltbekannten Spiel für
jung und alt, bei dem die Kinder in der Regel den Erwachsenen überlegen sind, ging er auf die
Probleme ein, Bilder zu speichern und aufrufbar zu machen.
Durch Grob- und Feinauflösung veränderten sich die Bildinhalte. Das Auge, das sich darauf
einstellen müsse, werde überanstrengt, die Konzentration verschwinde, reines Fixieren sei die
Folge, Fantasie so noch vorhanden gehe verloren. Müller empfahl in bestimmten Fällen die
Bildmeditation: zeichnerisch zuvor ein Bild zu strukturieren, um den Bildinhalt zu begreifen.
«Leben vor dem Bildschirm» war das Referat von Charly Frech, Mitarbeiter des Berliner
Gestaltungsbüros MetaDesign, überschrieben. Doch er war verhindert. Stattdessen sprach sein
Kollege Rayan Abdullah über die Neukonzeption der Berliner Verkehrsbetriebe. Ein 40 Jahre
lang in zwei Teile getrenntes Unternehmen galt es Anfang der neunziger Jahre wieder
zusammenzuführen.
Es genügte nicht, in visueller Hinsicht Ordnung zu schaffen, auch die menschengerechte
Ausstattung der Busse und Bahnen gehörte zum neuen Gestaltungskonzept. Mit «orientalischer
Gelassenheit», so der Referent über sich, ging er als Projektleiter an die Sache heran. Denn
nicht nur Normalfahrer, auch Behinderte, zu denen in diesem Fall auch Brillenträger, Leute mit
viel Gepäck, Frauen mit Kinderwagen usw. gezählt wurden, sollten das neue Verkehrssystem
ohne grössere Probleme benutzen können.
Wie so oft, konnte auch das Thema Typografie am Bildschirm nur angerissen werden.
Denkanstösse dürften aber in die tägliche Arbeit eingeflossen sein. Und nicht nur vor dem
Bildschirm gilt es, die Augen offen zu halten. Unsere komplizierte Umwelt verlangt eindeutige
Strukturen, so wie es am Beispiel der Berliner Verkehrsbetriebe gezeigt worden ist.
Max Schurr
in «Druck und Papier», Zeitung der Industriegewerkschaft Medien
«m», Zeitung der Mediengewerkschaft comedia:
www was wollen wir?
«www heisst für mich immer noch: was wollen wir und wir wollen wohl gestaltete
Information». So leitete Jean-Pierre Graber den diesjährigen Tag der Typografie ein. Gut
400 TagungsteilnehmerInnen liessen sich unter dem Stichwort «typo-online»informieren.
«www.typo-online.ch» lautete das Thema des 11. Tages der Typografie. Welche besonderen
Fragen das Internet aufwirft, wurde aus ganz unterschiedlichen Vorträgen an diesem kalten
Novembersamstag im vollen Zürcher Volkshaussaal klar. Zuerst war da Anna Rüegg, die
Dozentin für Kunst- und Kulturgeschichte sowie Bildgestaltung an der St.Galler Schule für
Gestaltung. Sie berichtete über die abendländische Bilderfeindlichkeit, die bis heute nachwirke.
Die Folge: Wir verfügen nur über mangelhafte oder gar keine«Bildkompetenzen».
Ein Bild ist mehr als ein Bild
Das Gebot «Du sollst dir kein Bildnis machen», wirke noch immer nach. Noch heute dürfen in
Schulbüchern Bilder nur «in didaktisch korrektem Umfeld» erscheinen, sonst gehört ein Buch
umgehend zur Kategorie «Freizeitmedien», wie Comics und Fernsehen. Wissensvermittlung
basiert deshalb noch heute auf Text, dabei entspreche diese Haltung längst nicht mehr dem
Stand unserer Multimedia-Gesellschaft. Die Referentin griff - um dies zu untermauern auf
Christian Doelkers Buch zurück: «Ein Bild ist mehr als ein Bild», (Klett-Cotta Verlag). Mit dem
Buchautor forderte Anna Rüegg mehr Bildkompetenz.
Veränderte Wahrnehmung
Welch veränderte Wahrnehmung die Multimedia-Gesellschaft entwickelt hat, zeigte Michael
Renner auf, der ein eigenes Gestaltungsbüro führt und als Dozent an der Hochschule für
Gestaltung und Kunst Basel unterrichtet. Der Computer, unser allgegenwärtiges digitales
Werkzeug, werde gar nicht voll ausgenützt: Am Bildschirm entstehen zwar in fliessenden
Prozessen immer neue Varianten eines Bildes oder Textes - viele mehr als beim Schreiben oder
Zeichnen auf Papier. Doch was wir als Print dann darstellen, zeige nichts mehr vom
dynamischen Prozess.
Michael Renner präsentierte Schülerarbeiten der Basler Schule für Gestaltung, die am
Bildschirm die dynamische Gestaltung zeigen: Mit Yes und No-Feldern, die sich bewegen, mit
geometrischen Figuren, die der Mausbewegung folgen. Und obwohl das Medium dafür geradezu
prädestiniert wäre, sei es immer noch sehr schwierig, professionelle Anwendungen mit
grafischen Oberflächen zu versehen. Renner zeigte dies am Beispiel eines (nicht umgesetzten)
Vorschlags für eine neue Gestaltung der Touch-Screen-Oberflächen der SBB-Billettautomaten,
und am Beispiel eines modernen Telefons, das ebenfalls mit einem graphical interface
funktionieren könnte.
Zwar schränke die Übertragungskapazität des Internet die Gestaltungsmöglichkeiten wieder ein,
dennoch wären E-Commerce-Anwendungen mit guter Gestaltung anzustreben. «Die heutige
Einöde auf den Computeroberflächen», so Renner abschliessend, weiche hoffentlich bald «gut
gestalteten Medien in Netzwerken».
Lieber Monopoly als Memory?
Einer warnte vor Euphorie: Der Münchner Gestalter Rolf Müller sieht das an sich starke
Bildgedächtnis des Menschen durch die Überflutung in Gefahr. Bisher seien qualitativ gute Bilder
sehr «gedächtnis-fähig», doch weil die Software so rasche Manipulationen zulasse, nehme man
heute die Einzelbilder kaum mehr wahr. Komme dazu, dass die schlechte Bildschirmauflösung
Details zum Verschwinden bringe. Müller sprach von nervösen Augen und forderte immer auch
einen Papier-Arbeitsplatz ohne Bildschirm. Das Memory-Spiel sollte eine Grundübung für alle
GestalterInnen sein, so Müller weiter, «doch heute ist eben Monopoly beliebter». Und
schliesslich referierte er anhand eines Textes aus der «Zeit»auch das Problem der
Aufbewahrung der verschiedenen digitalen Daten. Die rasche Programmentwicklung macht es
oft unmöglich, dass ältere Dateien nochmals gelesen oder gezeigt werden können und auch der
Zerfall der Speichermedien könnte zu einem riesigen Kulturverlust führen.
Von einem Kultursprung berichtete schliesslich Rayan Abdullah von «metadesign», Berlin.
Er
hatte nach der Vereinigung von West- und Ostdeutschland die beiden Berliner
Verkehrsbetriebs-Gesellschaften bei ihrer Fusion begleitet und das neue Erscheinungsbild
geschaffen, das auf der Frutiger-Schrift basiert. Er schilderte, mit welchem enormen
Informations- und Motivationsaufwand ein Corporate-Design-Konzept durchgesetzt werden
muss, damit auch die Sekretärinnen mitmachen und auf ihre so geliebte Schnörkelschrift
schliesslich verzichten.
René Hornung
in «m», Zeitung der Mediengewerkschaft comedia
«m», Zeitung der Mediengewerkschaft comedia:
Schriften am Bildschirm?
rh. Wir lesen alle ungern Bildschirm-Texte. Der Grund ist klar: Die Schrift-Darstellungen sind
meist schlecht, Kurven und Diagonalen werden unscharf oder als «Treppen» abgebildet,
Weissflächen klatschen zu. «Eigentlich müsste man für den Bildschirm ein ganz neues
Kommunikationssystem ohne die heute bekannten Buchstaben erfinden. Mindestens könnte
man Buchstaben wie 'f', 'v' und 'w' zu einem neuen Zeichen zusammenlegen», meinte
provozierend der in London arbeitende Schriftengestalter Bruno Maag. Weil das vorläufig eine
Illusion bleibt, zeigte Maag auf, mit welchen Tricks sich die Lesbarkeit der Schriften am
Bildschirm verbessern lässt. Die Texte als Photoshop-Datei abzulegen, lehnte Maag ab. Und
Texte als Grafik darzustellen, sei erst ab Schriftgrössen von 24 Punkt vertretbar. Selbst wenn mit
Postscript- oder True-Type-Technik gearbeitet werde, sollten 12 Punkt nicht unterschritten
werden.
Die beste Lösung wäre, jedes einzelne Zeichen als Bitmap neu zu definieren dann genügten
vier Graustufen, um eine gute Lesbarkeit zu erreichen , doch der Aufwand dafür ist viel zu
gross. Ausserdem muss jede Farbe einzeln erstellt werden und die Bitmap-Zeichen sind nicht
druckbar. Als Kompromiss schlug Maag die Verwendung von True-Type-Schriften in Verbindung
mit «hinting» vor, einem Post-design-Prozess, der die in den Schriften abgelegten
Zusatzinformationen nutzt. «Hinting» definiert zum Beispiel Mindestabstände, um Weissflächen
im «e» oder zwischen den Buchstaben zu erhalten. Für die Zukunft erwartet Bruno Maag
allerdings neue Lösungen. Dazu gehöre die auf weitere Plattformen übergreifende
Open-Type-Technologie. Bruno Maags Tipps auf dem Internet unter:
http://www.daltonmaag.com.
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