Typositionen – Ein Tag der Typografie 2004

Das war Ein Tag der Typografie 2004

Die Verabsolutierung der neoliberalen Marktlogik ist auch an den Hochschulen für Gestaltung nicht spurlos vorübergegangen. Sie sehen sich gezwungen, als Konkurrenten aufzutreten und sich am Markt zu positionieren. Welchen Einfluss hat das auf die Qualität der Ausbildung? Welchen Stellenwert hat die Typografie dabei überhaupt noch? Der diesjährige Tag der Typografie von comedia versuchte, mit der Präsentation von vier Fachschulen auf diese Fragen eine Antwort zu finden.

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An der Schule für Gestaltung Bern und Biel wird projektorientiert und in der offenen Struktur eines Atelierbetriebes gearbeitet. Im ersten Jahr wird überwiegend experimentell und mit den verschiedensten Materialien gearbeitet, und erst im zweiten Jahr wird die Frage nach dem Sinn «typografischen Tuns» gestellt. Die Umsetzung und Aspekte der Produktion stehen jetzt im Vordergrund. Man ist sich dabei bewusst, dass Praxis in der Schule schlecht simuliert werden kann. Deshalb konzentriert man sich auf das Vermitteln von Wissen, das später dauerhaft angewendet werden kann. Da alle Lehrkräfte höchstens eineinhalb Tage unterrichten, ist von daher ein starker Praxisbezug gegeben. Eine interaktive Internetpräsentation, «My Monument», zeigte einen interessanten Ansatz, individuelle und öffentliche Bedürfnsse in Einklang zu bringen. In einer weiteren Diplomarbeit war die Bewegungsstudie eines Tischtennisspiels als Videoprojekt zu sehen.

Auf eine Reise von der Peripherie der Typografie ins Zentrum führte die Präsentation der Ecole cantonale d'art de Lausanne. Im 6-semestrigen Studiengang Grafik-Design werden 6 Schwerpunkte angeboten, von denen Typo-Design einer ist. Die Auseinandersetzung mit Schrift in allen ihren Facetten nimmt dabei breiten Raum ein. In Workshops wird versucht, traditionelle Aesthetik in zeitgenössische Gebrauchsformen umzusetzen, wobei das Skizzieren breiten Raum einnimmt. Man ist dabei unter anderem auf der Suche nach der Grenze, wo Schrift nicht mehr Typografie ist, sondern zum Lettering wird, wo aus Zeichencode Bildcode wird. Eindruksvoll war die vorgestellte Diplomarbeit. Hier wurde versucht, kalligraphie-artiger Schrift auf die Schliche zu kommen, indem eine französische Renaissanceschrift in ihre Grundformen zerlegt, daraus Schablonen gefertigt und experimentiert wurde, als Zwischenschritt zur Digitalisierung eines neuen Fonts.

Die Merz-Akademie in Stuttgart, Hochschule für Gestaltung, bietet einen Studiengang Kommunikations-Design in 8 Semestern an. Die Studierenden werden da nicht nur zu Gestaltern und Gestalterinnen, sondern auch zu Autoren und Autorinnen von Print- und elektronischen Medien ausgebildet. Weil heute jede Art von Gestaltung erlaubt ist, sind viele Enscheidungen zu treffen. Es sind aber nicht Regeln und Anleitungen, die an der Merz-Akadmie geholt werden, sondern eine breite gestalterische Grundlagenausbildung. Vermittelt wird auch kommunikationsplanerisches und gesellschaftsanalytisches Wissen, denn: «Wer nie zweifelt, kann nicht kommunizieren.» Eine ganz besondere Autorenarbeit aus der Merz-Akademie bekamen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Tages der Typografie zu sehen: Julia Fuchs hatte sich mit kinetischer Typofgrafie auseinander gesetzt und sie für «Printmenschen» umgesetzt. Entstanden ist daraus ein Buch, das von einer Seite gelesen ein reines Textlesebuch mit klassischer Elementtypografie ist und vom andern Ende ein auf allen Instrumenten der Buchgestaltung virtuos komponiertes Buch ist.

Der Studiengang der Fachschule beider Basel FHBB dauert drei Jahre und besteht aus den Modulen Grundlagen, Theorie, Interaktion, Bild und Typografie, wobei sich die Studierenden ab dem dritten Semester für eines der drei letzterwähnten Module zu entscheiden haben. Die Ausbildung zielt auf die Stärkung der Vorstellungskraft sowie die Herausbildung einer «persönlichen Handschrift» ab. Grosses Gewicht wird dem Information Design beigemessen, der zur Strukturierung der Informationsflut immer grössere Bedeutung zukommt. Eine hervorragende Umsetzung bekam man mit einer präsentierten Diplomarbeit zu sehen. Einem Etymologie-Lexikon wurde ein visuelles Interface verpasst, das mit einer äusserst durchdachten Benutzerführung, epochenabhängig, den Wandel der Begriffe in allen indoeuropäischen Sprachen mit kaum übertreffbarer Anschaulichkeit darstellt.

Die vier Präsentationen verschafften einen interessanten Einblick in den Stand der Ausbildung und deren Stossrichtung an den einzelnen Schulen. Wie weit die in der Einladung zum Tag der Typografie aufgeworfenen Fragen eine Antwort gefunden haben, muss zum Teil offen bleiben. Dazu war der Einblick in der kurzen Zeit wohl doch zu wenig tief. Sicher ist: Der Typografie hat kommt an den Gestaltungsschulen nach wie vor ein grosser Stellenwert zu. Sie wird aber stärker interpretiert und experimenteller angegangen als früher. Am Ausgeprägtesten kam dies vielleicht in der Präsentation von Lausanne zum Ausdruck. Die befürchtete Globalisierung der Typografie als Folge des Marktdrucks ist nicht auszumachen. Und es ist auch nicht anzunehmen, dass sich dies ändern wird, solange die Schulen in der typografischen Ausbildung sich nicht a priori ökonomischen Bedürfnissen unterordnen, sondern auf den kulturellen Ressourcen bauen.

Dem Tag der Typografie ist die Ausgabe 6/2004 der «Typografischen Monatsblätter» gewidmet. Mehr dazu auf www.tm-rsi-stm.com