Moment der Stille im Bilderlärm

 

Zum zehnten Mal fand am 25. Mai der Tag der Schrift statt. Es war ein guter Jahrgang mit breitem Themenspektrum. Immer wieder kam das Verhältnis zwischen Ästhetik und Funktionalität zur Sprache. Zudem zeigte der Jubiläumsanlass, dass sich über Typografie auch ohne visuelle Begleitgeräusche referieren lässt – eine Wohltat inmitten des Bilderlärms.

 

Wann gilt eine Schrift als schön? Ist Schönheit überhaupt das Ziel beim Schriftgestalten? Gibt es feste Regeln für die optimale Lesbarkeit einer Schrift? Diese und ähnliche Fragen tauchten in den meisten Referaten des zehnten Tags der Schrift in Zürich auf. Für die rund 200 Interessierten ergaben sich spannende Einblicke in die Suche nach Antworten.

Frank BloklandDer Schriftgestalter Frank E. Blokland geht dabei sehr wissenschaftlich vor. In seinen Studien an der niederländischen Universität Leiden erforscht er die Entwicklung der Antiqua in der Renaissance und den folgenden Epochen und versucht, ein System und entsprechende Normen bei deren Einsatz zu erkennen.

 

Schöne Buchstaben ergeben noch keine schöne Schrift

Oliver ReichensteinIm Vergleich wirkt die Herangehensweise des Philosophen und Designers Oliver Reichenstein «improvisiert». Mit viel Neugierde und erfrischend unkonventionell beschäftigt er sich mit Schriften, insbesondere für deren digitale Anwendung. Dabei liess er sich trotz fehlender Ausbildung von den Buchstabenformen und der Liebe zum Detail fesseln. Pausenlos arbeitete er an einem eigenen Font, erlebte Rückschläge und machte die Erfahrung, dass viele wunderbare Lettern zusammen noch keine schöne Schrift ergeben.

 

Typografie fürs Web

Oliver Reichenstein, für den Webdesign zu 95 Prozent aus Typografie besteht, wurde zum Vorreiter in Sachen Bildschirmlesbarkeit und ist heute Inhaber einer der weltweit führenden Agenturen für Webdesign. «Wenige verstehen etwas von Typografie, aber alle empfinden sie», sagt er. Seine freie Rede am Tag der Schrift kam ohne begleitende Projektion aus und war damit vermutlich sogar eine Novität in der zehnjährigen Geschichte des Tags.

Trotzdem (oder gerade deswegen) gehörte der mit Ironie gespickte Vortrag zu den unterhaltsamsten Beiträgen. Oliver Reichenstein ist der Beweis, dass auch ohne Designschule und «ohne das jahrelange Zeichnen von Vierecken und Kreisen» eine erfolgreiche Karriere möglich ist.

Brigitt GutmannDie Wechselwirkung von Sprache und Schrift thematisierte der Beitrag von Brigitt Gutmann. Die Sprachwissenschaftlerin erklärte, warum in Vietnam die lateinische Schrift verwendet wird. Eine Tonsprache mit lateinischen Schriftzeichen darzustellen, scheint auch eine ästhetische Herausforderung zu sein. Doch muss eine Schrift überhaupt schön sein?

Christoph DunstDer Schriftdesigner Christoph Dunst aus Berlin jedenfalls beschreibt seine neuste Kreation mit «klobig» und «nicht klassisch schön». Er wollte eine charakterstarke Schrift entwickeln – Charme statt Schönheit sollte sie ausstrahlen.

 

Eine Brezel als Vorlage

Stefanie PreisDies trifft sicher auch auf die «Brezel Grotesk» der selbständigen Grafikerin Stefanie Preis zu. Die runden Elemente der Schrift erinnern tatsächlich ein wenig an das berühmte Schlinggebäck, das in Bayern allgegenwärtig ist, der Heimat der Schriftgestalterin. Auch Stefanie Preis musste ähnlich wie Oliver Reichenstein während der Entstehungsgeschichte ihrer Schrift feststellen, dass die Charaktere einzelner Lettern sich dem ganzen Gefüge einer Schrift unterordnen müssen.

Anton StuderUnd die Lettern müssen an das Medium angepasst werden, wie Jungdesigner Anton Studer zeigte. Seine Schrift «Medien» entwickelte er speziell für die Bildschirmanwendung. Er probierte und laborierte so lange, bis die Umsetzung in Pixel auch für kleine Schriftgrössen ein optimales Resultat brachte. Schönheit und Funktionalität sind also vielen Einflüssen unterworfen, das machte der zehnte Tag der Schrift deutlich. Und er zeigte, dass die aufgeworfenen Fragen unterschiedliche Antworten gelten lassen.

 

Text und Bilder: Patrick Bachmann

10. Tag der Schrift
Samstag, 25. Mai 2013
9.15–15.30 Uhr