Tag der Typografie

Samstag, 18. Oktober 2008
Volkshaus Zürich

Der 20. Tag der Typografie von comedia im Zeichen von Jubiläen

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Design und Gestaltung heisst, der Sache auf den Grund gehen und aus Konventionen ausbrechen. So könnte ein Fazit der Fachbeiträge am 20. Tag der Typografie lauten. Da auch gleich noch 75 Jahre «Typografische Monatsblätter / Revue suisse de l'imprimerie» zu feiern waren, galten zwei der Tagungsreferate dem Rückblick sowie der Bestandesaufnahme. comedia-Zentralsekretär Hans Kern konnte im Volkshaus Zürich an die 250 Teilnehmerinnen und Teilnehmer begrüssen.

Roger Chatelain
RSI-Cover RSI-Cover

RSI-Cover von 1934 (links) und der letzten Ausgabe vor der Fusion

Der Beitrag der Romandie zur Typografie
Roger Chatelain eröffnete den Reigen der Referate und knüpfte dabei bei den unterschiedlichen kulturellen Befindlichkeiten an, die zur Zeit der Herausgabe der Revue suisse de l'imprimerie (RSI) in den Sprachregionen und damit auch in den Ansichten über typografische Zweckmässigkeit geherrscht hatten. Schon 10 Jahre vor dem deutschschweizerischen Pendant Typografische Monatsblätter erschienen, orientierte sich die RSI in den 25 Jahren ihres eigenständigen Erscheinens von 1923 bis 1948 an der französischen Tradition der Typografie. «Der Kubus langweilt uns, schmerzt das Auge, wir dulden ihn um unserer Bequemlichkeit willen, aber die Seele möchte Schwünge und Poesie», schrieb der Lausanner Typografie-Lehrer Albert Javet 1944 in der RSI in Anspielung an neue, auf das Bauhaus zurückgehende Ansichten. Ein Jahr später entbrannte dann prompt eine Kontroverse, als der in Lausanne arbeitende, aus der alemannischen Schweiz zugezogene junge Typograf Kurt Huber die im Welschland angewandte Typografie in der RSI kurzerhand als «altmodisch» bezeichnete und einem «rhythmischen und logischen Aufbau» das Wort sprach; statt «Unordnung und Willkür» verlangte er im Satz eine «wohltuende Ordnung». Waren Hubers Ansichten für die einen Typografen der Welschschweiz pure Provokation, verwiesen andere auf unterschiedliche Mentalitäten und fürchteten, dass solche Arbeiten bei den welschen Druckereikunden schlecht ankommen würden. Als fruchtbares Ergebnis solcher Kontroversen sieht der Referent die Herausbildung wichtiger Impulse für eine originär schweizerische Spielart der Typografie, was 10 Jahre später als Schweizer Typografie ein Begriff wurde. So gesehen erfolgte die Zusammenlegung der RSI mit den TM im Jahre 1948 in einem Schlüsselmoment, wie Chatelain hervorhob. Der neuen, fusionierten Zeitschrift kam eine wirkungsvolle Mittlerfunktion zwischen den Sprachregionen zuteil. Die Typografen der burgundischen Schweiz kamen jetzt in Kontakt mit dem Schaffen von Ruder, Tschichold, Weingart und den andern an den Deutschschweizer Fachschulen wirkenden Grössen. Die Welschschweiz hat so den Schritt zur international gerühmten Schweizer Typografie rascher vollzogen als Frankreich, wo sich die grosse Pariser Präsenz von Deutschschweizer Gestaltern wie Knapp, Widmer oder Rudi Meier erst allmählich auszuwirken begann. Allerdings ist die französische Tradition auch in der Romandie nicht restlos ausradiert worden. Das trifft insbesondere auf die Buchgestaltung zu, zumal keine vergleichbare Region im französischen Sprachraum eine so grosse Dichte an Buchverlagen aufzuweisen hat.
Der Beitrag der Welschschweiz zur Typografie erstreckt sich indessen auch auf die Herausgabe einiger Standardwerke. Da ist zuvorderst der Guide du typographe zur erwähnen. Das unverzichtbare Nachschlagwerk, wenn es um die mikrotypografische Pflege des Schriftsatzes geht, ist seit 1943 bereits in der 6. Auflage erschienen. Mit Rencontres typographiques (2003) – Autor ist der Referent selbst – werden die Protagonisten der Neuen Typografie vorgestellt; ein besonderes Kapitel widmet sich den im Untergrund wirkenden Typografen der Résistance. In Pages épreuvées et corrigées, erschienen 2006, wechseln sich typografische Erinnerungen mit der Präsentation verschiedener Gestalter ab. Und natürlich haben die im 2-Jahr-Rhythmus durchgeführten Journées romandes de la typographie ihr Teil zur Entwicklung der Typographie in der Welschschweiz beigetragen.

Lukas Hartmann
TM-Cover TM-Cover

Bereits eine der ersten Nummern der «TM» war der Fotografie gewidmet. 1977 demonstrierte Wolfgang Weingart mit einem Cover, der sich an eine bekannt Comics-Serie anlehnt, die assoziierende Wirkung des Bildes.

Von ph zu f: 75 Jahre Typografische Monatsblätter
Die Förderung der Berufsbildung stellte bei den Buchdrucker-Gewerkschaften schon immer einer der Eckpunkte ihrer Aktivitäten dar. Daran erinnerte Lukas Hartmann, als er in die Zeit zurückblendete, als der Schwei­zerische Typo­graphen­bund beschloss, mit den Typografischen Monats­blättern eine Fach­zeit­schrift herauszugeben. Man befand sich im Jahr 1933, dem Jahr, da in Deutschland nach der Machtübertragung an die Faschisten das Bauhaus end­gültig geschlossen und auch die Gewerkschafts­bewegung zerschlagen wurde. Und in Berlin wurden Bücher verbrannt. Ausbildungs­fragen spielten in den TM denn auch durch­wegs immer eine grosse Rolle. Schon die ersten Jahre zeigen eine Anlehnung an die Neue Typographie mit gleich­zeitig starker Gewich­tung der Foto­grafie. Anfang der fünziger Jahre begann, nachdem die TM mit der 10 Jahre älteren, fran­zö­sisch­sprachigen Schwester RSI zusammen­gelegt wurde, eine neue Epoche durch die Über­nahme der Schrift­führung durch Rudolf Hostettler. Während 30 Jahren prägte er die Fach­zeit­schrift, wobei er es verstanden habe, «zwischen dem lange schon herr­schenden Zwist von Tra­ditiona­listen und Modernen vermittelnd zu agieren». In der Kontro­verse zwischen Tschichold und Bill hielt er sich zurück, gab jedoch immer beiden Lagern ihren Raum. Hostettler habe schon früh begriffen, dass es nicht die Typografie an sich gebe, «sondern dem jeweiligen Einsatz angepasste Typografien», erklärte der Referent. Die Offenheit gegenüber Neuem hatte es Hostettler ermöglicht, die Zeit­schrift zur Platt­form für viele junge Typo­grafen zu machen. Gleich­zeitig erhielten die TM zunehmend eine inter­nationale Aus­richtung. Die grossen tech­nischen Umwälzungen brachten es mit sich, dass die Ausbildung der jungen Berufs­leute in diesen Jahren verstärkt zum Thema wurden. Nach dem Tode Hostettlers 1982 übernahm Jean-Pierre Graber die Redaktions­leitung der TM, der während seines ebenfalls 30-jährigen Wirkens das angetretene Erbe «nicht nur verwaltet, sondern weitergeführt und ausgebaut» hat, wie Hartmann anerkennend vermerkte. Unter der Ägide Grabers wurde Schluss gemacht mit der einstigen reinen Männer­domäne; jetzt kamen zunehmend auch Frauen zum Wort. Der Referent, seit 2002 selbst redaktio­neller Leiter der Fach­zeit­schrift, sieht in der Gegenwart eine Herausforderung in der Grat­wanderung, welche die Verän­derungen im Ziel­publikum mit sich bringen. Es gelte, «einen ver­nünftigen Mix an Themen zu finden, die sowohl unsere jungen Polygrafinnen und Polygrafen in den Lehr­betrieben als auch die Absolventen der Hoch­schulen für Gestaltung und Kunst zu fesseln» vermöchten. Sein Ziel sei es, den klaren Fokus auf Typografie, Schrift und Sprache beizubehalten; damit würden die TM aus der Menge der Design­zeit­schriften als etwas Spezielles hervorstechen. Gleichwohl müssten die TM thematisch ein weites Spektrum zu Fragen der Kommuni­kation und der Gestaltung abzudecken versuchen. Bei aller inhalt­lichen Qualität hänge aber das Über­leben der TM auch von profaneren Faktoren ab. Dazu brauche es nicht allein den Willen und den Idealismus der Gewerk­schaft, weiterhin die nötigen Mittel zur Herausgabe bereit­zustellen, sowie mög­lichst viele Abonnentinnen und Abonnenten. «Indem Sie mit praktischen und theoretischen Beiträgen sorgen, dass in den TM weiterhin lesenswerte Beiträge zu Schrift, Typografie, Gestaltung und Sprache, aber auch zur Design­forschung ver­öffent­licht werden können», werde ebenso sehr ihr Fortbestehen gesichert, spielte der Referent den Ball dem Publikum zu.

Philippe Apeloig
Plakat Le Havre

Plakat zum Weltkulturerbe Le Havre. Die kommunistische Verwaltung liess die Hafenstadt nach der Zerstörung im 2. Weltkrieg von den Architekten Perret und Niemeyer in einer modernen Betonarchitektursprache wieder aufbauen. Apeloig nimmt im Plakat den typischen Gebäuderaster auf.

Philippe Apeloig: Vivo in Typo
Was unter einem Leben für Typografie und Design verstanden werden kann, erfuhren die Tagungs­teil­nehmenden von Philippe Apeloig. Der mehrfach preis­gekrönte Gestalter war bis vor kurzem Künst­leri­scher Direktor des Musée du Louvre in Paris. Beim Heran­gehen an eine neue Arbeit ist für ihn tief­schürfende Doku­mentation unerläss­lich, ja Grund­voraussetzung für eine erfolgvreiche grafische Umsetzung. An die Wurzeln zurück­zugehen, heisse es da, um aus dieser Analyse dann eine grafische Botschaft entwickeln zu können. Bei deren Umsetzung lässt er sich kaum durch Konven­tionen einschränken. Er liebt es, mit den Zufällig­keiten der Buch­staben zu spielen, und findet, Leser­lich­keit müsse keines­wegs an erster Stelle stehen. «Typo­grafie muss heraus­fordern», deshalb dürfe und soll dem Betrachter zugemutet werden, ein wenig nach der Aussage eines Plakates suchen zu müssen. «Typografie ist nicht statisch» lautet eine andere Devise des Referenten. Buch­staben seien wie Tänzer auf der Bühne, oder sie könnten sogar zum Hoch­seil­akt antreten. Aber auf­gepasst: dabei darf man nicht fallen! Die von ihm gezeigten Arbeiten legten beredtes Zeugnis vom virtuosen Umgang mit typografischen Elementen ab. Etwa, wenn mit einem Teppich simpler Klammern die Illusion von Wellen erzeugt wird oder mit Satz­zeichen textile Strukturen. Manchmal spielt Apeloig auch mit der Dualität zwischen alter und neuer Typografie, was er am Beispiel von Drucksachen zeigte, die er für die Asso­ciation des Biblio­thécaires de France geschaffen hat. Dabei bringt er den Wandel in der Medien­welt, das Komplemen­täre von altem und neuem, zum Ausdruck. Wie setzte Apeloig das 100-Jahr-Jubiläum des Louvre um? Wie kann der komplexe Fundus dieses berühmten Museums auf einem Plakat offenbart werden? Der französische Designer bediente sich der Gesichter, wie sie auf unzähligen Louvre-Exponaten zu finden sind, facettierte sie knapp und stellte daraus ein Mosaik zusammen. Dichter sind der Reichtum dieses Museums und die verschiedenen Kunst­epochen, die seine Schätze umfassen, wohl nicht darzustellen.

Leonardo Sonnoli
Tatoo

Eine Arbeit, die «ehrfurchtsvolle Verantwortung erforderte...

Leonardo Sonnoli: A potato is not an egg
«In die Vergangenheit schauen, um Dinge für die Zukunft zu schaffen», bezeichnete der italienische Designer Leonardo Sonnoli als sein Credo. Da er nicht nur Italiener, sondern auch Europäer ist und sich als solcher versteht, betrachtet er das gesamteuropäische Erbe als Fundus, aus dem er bei seinem Schaffen schöpft. Dabei geht er relativ unbefangen damit um und scheut sich beispielsweise nicht, sich auch mal von Riefenstahls Olympiadeaufnahmen inspirieren zu lassen. Angetan hat es ihm vor allem auch Literatur, die unsere Kommunikationskultur oder Konventionen unserer Denkkultur radikal hinterfragen wie etwa Ionescus «Die kahle Sängerin» oder Abotts «Flatland». Einen zentralen Einfluss üben die Vertreter der Avantgarde der 30er-Jahre auf ihn aus. Das muss sich nicht auf die theoretische Auseinandersetzung mit deren Schaffen beschränken; bei einem Aufenthalt in Moskau war es ihm wichtig, die Enkelin Rodschenkos aufzusuchen, die ihm erlaubte, sich im ehemaligen Arbeitszimmer ihres Grossvaters auf dessen Stuhl setzen zu dürfen. Sinnlichkeit scheint dem Referenten ohnehin ein wichtiger Impuls für sein Schaffen zu sein. So konnte er ein unbedrucktes, aber aus lauter unterschiedlichen Papieren bestehendes Buch so enthusiastisch durchblättern, dass man als Zuhörender fast schon glaubte, die Nuancen der variierenden Papier­ober­flächen an den Fingern zu spüren. Materie ist dem Referenten bei der Arbeit ohnehin wichtig, etwa wenn er versucht, den Materialien, für welche die Inhalte stehen, in der Gestaltung Ausdruck zu verleihen. Und wenn es dann noch etwas ist, das für die «Ewigkeit» gemacht wird, wie ein logoartiges Tatoo auf den Hals einer jungen Frau, dann «fühlt man wirklich eine ehrfurchtsvolle Verantwortung bei der Arbeit», wie Sonnoli feststellte.

Theres Jörger und Susanne Stauss
Chau Amur

Diese Postkarte thematisiert die Verwandschaft der Sprachen Italienisch und Rätoromanisch. Der Wortlaut ist in Rätoromanisch, das Visuelle steht für das Italienische. Die Buchstaben wurden aus dünnem Karton gebaut.

Theres Jörger und Susanne Stauss: Typografische Inszenierungen im Raum
Als die Visuelle Gestalterin Theres Jörger und die Fotografin Susanne Stauss im Jahre 2002 den Auftrag erhielten, für die rätoromanischen Literaturtage in Domat/Ems den visuellen Auftritt zu gestalten, eröffnete sich ihnen eine Experimen­tier­platt­form. Sie nutzen sie, um «das zweidimensionale Feld der Typografie zu verlassen und in den Raum zu gehen». Das heisst, sie beschaffen sich Buchstaben als materialisierte Objekte oder stellen sie bei Bedarf selbst her und ordnen sie im Raum an. Mittels der Fotografie werden diese drei­dimen­sio­nalen Arrangements wieder in die Fläche zurück­geholt, so dass sie in den nötigen Print­produkten (Plakate, Programm­heft, Flyer und Eintritts­karten) umgesetzt werden können. Die Insze­nierungen nehmen Bezug zum jähr­lich wech­selnden Schwer­punkt­thema der Literatur­tage und werden inter­diszip­li­när, als Zusammen­arbeit von Grafik und Foto­grafie, angegangen. Denn im Zentrum der Foto­grafie steht nicht das dokumen­ta­rische Abbild, sondern die Komposition des Bildes. Licht­stimmungen, Momente des Zufalls und auch das Spiel mit der Schärfen­tiefe fliessen mit ein. Durch dieses Zusammen­spiel kommen Prozesse in Gang, die in eine über­raschende, un­vorher­gesehene Richtung gehen können. «Schreiben im Raum kommuniziert anders als das gewohnte Aneinander­reihen von Schrift­zeichen», umschrieben die Referen­tinnen eine ihrer Erfahrungen aus dem Experiment. Die optimale Les­barkeit der objekt­haften Typo­grafie trete in den Hinter­grund, weil die Objekte neben der eigent­lichen Buch­staben­information einen zusätz­lichen kommuni­kativen Gehalt haben. Das Material, Grössen­unter­schiede und die Form kom­muni­zieren ebenso wie es der Sprach­kodex über Buch­staben und Wörter tut. Wenn so über die Jahre auch unter­schied­lichste Insze­nie­rungen zustande gekommen sind, haben sie doch die räum­liche Umsetzung gemeinsam, so dass in den Druck­erzeug­nissen durch­aus eine Art CI erkennbar ist. «Mehr und mehr hat sich der Prozess als das Zentrale in unserer Arbeit heraus­kristal­lisiert», fassen die beiden Frauen ihre Erfahrungen zusammen. Mit dieser Arbeit habe sich ihnen ein Experimentier­feld aufgetan, das zeige, dass Typo­grafie als Kom­muni­kations­mittel sehr viel Unter­schied­liches bedeuten könne, was sie veran­lasst hat, ein auftrags­unab­hängiges Forschungs­projekt zu diesem Thema in Angriff zu nehmen.

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