Der 4. Tag der Schrift führte am 9. Juli wieder in grosser Zahl Typografie-Interessierte nach Zürich. Dass zwei der vier Referenten niederländischer Herkunft waren, zeigt, dass das Land an Schelde und Rhein nach wie vor eine erste Adresse ist, wenn es um Schrift geht. Die Veranstaltung wurde gemeinsam von comedia und der Berufsschule für Gestaltung, Zürich, organisiert.
Vom Material zur Idee
Wenn der Schaffhauser Schriftdesigner Daniel Lanz (Lafonts Typdesign) seinen Vortrag mit
«Vom Material zur Idee» überschrieben hat, wird das seine besondere Bewandtnis haben: Seine
erste handwerkliche Erfahrung mit Schrift machte er in seinem Lehrberuf als Handgraveur. Es
war dort bevorzugterweise die Anglaise, die mit dem Stichel in Metall zu stechen war, ohne dass
die Illusion einer schwungvollen Schreibschrift verloren gehen durfte. Der solchermassen
erworbene disziplinierte Umgang mit dem Material ist wohl einer der Gründe für die klare
Formensprache, durch die sich seine Schriften auszeichnen. Mit der Diverda konnte Daniel Lanz
sein bisher grösstes Schriftprojekt vorweisen. Die Familie umfasst eine serifenlose wie eine
serifenbetonte Variante und ist mittlerweilen auf 20 Schnitte angewachsen. Die Diverda verfügt
über eine eher kleine x-Höhe. Durch Verwendung klarer Grundformen wurde optimale Lesbarkeit
erzielt. Seit 2004 wird die Schrift von Linotype geführt. Dass sie «funktioniert», hat die
Schriftfamilie unterdessen schon vielfach bewiesen; sie wird zum Beispiel vom Bundesamt für
Umwelt (Bafu) für die Publikation «Umwelt Schweiz 2007» eingesetzt. Eine andere
Materialerfahrung machte Daniel Lanz, als er bei Katherine Wolff in Basel das Schreiben der
Capitalis Monumentalis mit dem Pinsel erlernte. Daraus entstand die Studie einer
Renaissance-Antiqua.
Für das Logo des Zürcher Arbeitsprogramms Sovaz hat Lanz die Studio, eine schmale Rounded,
gezeichnet, die auch in Titelüberschriften und auf Plakaten Verwendung findet. Im eigenen
Verlag lafonts.com ist die Pixot erhältlich. Es handelt sich um eine variierbare Pixelschrift, deren
Mittellänge gerade mal 4 Pixels hoch ist. Das Besondere an diesem Minuskelfont ist, dass mit
der Versal-Umschalttaste der Klaviatur – einige Übung vorausgesetzt – individuelle Pixelzeichen
kreiert werden können. Eine weitere originelle Schrift von lafonts.com ist Triface, eine
nichtproportionale Deko-Majuskel. Sie ist perspektivisch gezeichnet und kann mit dem Font Trifill
ergänzt werden, der die Aussparungen der Triface füllt, aber auch für sich allein lesbar ist. Die
Schrift von Marc Rudin, Lehrer an der Berufsschule für Gestaltung, Zürich, ist an einem der
Kurse für FontLab entstanden, die Daniel Lanz an den Berufsschulen in Zürich und St.Gallen
erteilt. Weitere Arbeiten aus diesen Kursen rundeten den Einblick in das Schriftschaffen des
Referenten ab.
-> www.lafonts.com
Von den Pixeln zu den Vektoren und wieder zurück
In der Schriftgestaltung sei man oft damit konfrontiert, das Rad wieder neu erfinden zu müssen,
erklärte Paul van der Laan, Geschäftsführer von Type Invaders, einem Studio für
Schrift und
Typografie im Haag. Zwischen Modularität, Pixels und diversen Limiten gelte es, je nach
Rahmenbedingungen, immer von Neuem wieder den besten Kompromiss zu suchen. Sein
Ausgangspunkt für die Schriftgestaltung sind Pixelfonts. Nehme man die 8x8-Pixel-Matrix der
Schriften der ersten Computerbildschirme, sehe man zwar keine perfekten Schriften. Trotzdem
bieten sie schon sehr viele Möglichkeiten. Van der Laan führte Susan Kare als Kronzeugin an,
um bewusst zu machen, was aus Pixelfonts und Pixelillustrationen herauszuholen ist. Sie hat auf
den Desktops nicht nur des Mac Classic, sondern auch anderer Betriebssysteme sowie
unzähliger Programmoberflächen mit ihren Pixelschriften und Pixelicons für maximale Lesbarkeit
und Klarheit der Interfaces gesorgt.
Von seinen beiden Retail-Schriften Feisar und Flex ist erstere ursprünglich auf
einer
12x12-Pixel-Matrix für ein Userinterface entstanden. Inzwischen ist sie als digitalisierter Font
erhältlich, sie zeichnet sich aber neben ihrer Eigenwilligkeit auch dadurch aus, dass sie aufgrund
ihrer Herkunft in kleinen Graden noch sehr gut lesbar ist. Dies wurde bei der Flex ebenso
angestrebt, obwohl sie sehr viel näher an einer konventionellen Serifenlosen ist. Auch wenn bei
den heutigen Bandbreiten, Bildschirmauflösungen und Speicherkapazitäten
ressourcenschonende Pixelschriften aus der Mode gekommen sind, hat sich van der Laan die
Frage gestellt, weshalb es bei der E-Mail-Ausgabe die drahtige Outline-Schrift Courier sein
muss. Seine Antwort darauf ist die Outbox, eine 12-Pixel-Schrift, die ein sehr regelmässiges,
kompaktes Schriftbild abgibt, vor allem auch, weil es sich bei ihr um eine Proportionalschrift
handelt – im Unterschied zur Courier. «Sie sehen: Pixelschriften geben mehr Freiheiten als man
denkt», schloss van der Laan seine Ausführungen.
-> www.type-invaders.com
Raster als Ordnungsprinzip
Tobias Peier, Inhaber des Grafikateliers Bodara und trotz seines jungen Alters bereits
mit
mehreren Design Awards ausgezeichnet, sieht sich eigentlich weniger als Schriftschaffenden
denn als Schriftanwender. Da Raster für ihn ein ultimatives Ordnungsprinzip der Gestaltung sind
(«Chaos als kreatives Prinzip ist mir ein Graus»), sieht er sich als Designer automatisch immer
wieder wieder mit abstrakten Schriftmustern konfrontiert. Daraus sind vier verschiedene
geometrische Fontstudien entstanden: SMR basiert auf einem in der Höhe und Breite geteilten
Rechteck und seinen Diagonalen. Aus dem daraus entstehenden Gitter lässt sich problemlos ein
ganzer Zeichensatz realisieren, und das in mehreren Strichstärken. Die Studie 25x8 greift
dagegen auf eine 5-mal-5-Pixel-Matrix zurück, ähnlich wie wir sie vom Schriftbild alter
Nadel-Drucker kennen. In POE werden Schriftzeichen mit flaggenähnlichen Elementen
komponiert. Lediglich ein Quadrat und ein Dreieck stehen in SOL als Elemente zur Verfügung,
um in einer 2-mal-3-Matrix Zeichen zu bilden, was sogar funktioniert, mindestens wenn das Wort
als Ganzes erfassbar ist. Tobias Peier zeigte den Tagungsteilnehmerinnen und -teilnehmern
überzeugende Umsetzungen seiner Studie SMR für eine Plattencover-Serie, Logo und Flyers
von Spezialmaterial Records (www.spezialmaterial.ch). Bei den
Plattencovers und -etiketten hat
er das Ganze noch mit einem X-Raster unterlegt, was zu einer unerhört wirkenden, filigranen
Struktur und einem unverwechselbaren grafischen Auftritt führt.
-> www.bodara.ch
Warum es immer wieder neue Schriften braucht
Mochte im 16. Jahrhundert die reine Leidenschaft am Stempelschneiden als Motivation
ausreichen, um eine neue Schrift zu machen, wie es Fred Smeijers anhand eines Dokuments
aus der Frühzeit der Druckschriften aufzeigte, sieht es heute im Schriftschaffen um einiges
komplexer aus. Schrift zu machen heisse, sich mit 500 Jahren Typografiegeschichte
auseinanderzusetzen, meinte der heute an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig
wirkende, aber aus den Niederlanden stammende Schriftgestalter. Die Gestalter seien heute auf
der ständigen Suche nach Schriften, die ihnen die Arbeit leichter machen. Die Schrift ist zum
Tool zur Umsetzung gestalterischer Anforderungen geworden. Die meisten seiner Fonts, so
stellte Smeijers fest, sind aus den spezifischen Bedürfnissen heraus entstanden, die von den
vorhandenen Fonts nurmehr ungenügend abgedeckt werden konnten. Der Zuschnitt ihrer
Produkte auf Kundenbedürfnisse ist denn auch die Philosophie, welche die von Smeijers
gegründete Foundry OurType verfolgen will. Der Bedarf nach neuen Schriften wird aber bei
weitem nicht nur durch neue Technologien geweckt, fast noch einschneidender wirken sich, so
der Referent, Veränderungen in den Arbeitsabläufen und in der Arbeitsorganisation aus. Heute
fällt zum Beispiel in vielen Fällen die inhaltliche Redaktion von Texten weg; der Gestalter hat sich
auch noch darum zu kümmern. Gestalterinnen und Gestalter legten jedoch ihre Schwerpunkte in
der Regel auf die visuelle, nicht die inhaltliche Formgebung, was wiederum besondere
Anforderungen an die Schrift stelle.
Das Schriftschreiben hält Smeijers auch heute noch für einen guten Weg, um das nötige
Fingerspitzengefühl für Form und Rhythmus der Schrift zu erwerben. Das Copy-&-Paste des
Computer-Zeitalters sei hier fehl am Platz, da es bequem mache – was beim Schriftschaffen
zum Handicap werden könne. So das Credo des Schöpfers zahlreicher Schriften, von denen die
1992 entstandene FF Quadraat mit ihren 56 Schnitten wohl die erfolgreichste ist.
-> www.ourtype.com
Richard Frick, der durch das Programm führte, zog am Schluss der Tagung eine positive Bilanz.
Er zeigte sich überzeugt, dass von diesem Tag neue Impulse für den professionellen Umgang
mit Schrift ausgehen werden. Er versicherte zudem, dass im nächsten Jahr der bisher
traditionelle Ausblick in das aussereuropäische Schriftschaffen wieder zum Programm gehören
werde.